Das Kunst-Stück zu zaubern

 

„Bleiben wir doch bei der Betrachtung der Bilder! Was der Einzelne dabei erlebt, kann ich nicht immer gewollt haben.“ (Gottfried Brockmann)

In seinem Bild, „Das Zauberkunststück“, um 1947 gemalt, formulierte der rheinländische Künstler, Gottfried Brockmann (1903-1983), eine implizite Aussage. Indem er den Bildinhalt auf gerade einmal vier sichtbare Momente beschränkt: ein tischartiges Gebilde, darauf einen Eierbecher mit Ei, ein stilisiertes fliegendes Huhn, mit abgetrenntem Kopf, die Rezeption formulierte für dieses, in seinem Werk des Öfteren wiederkehrende Motiv, auch den Begriff des „Attrappenhuhns“, sowie einen Stab, der dem Titel des Bildes folgend, die Funktion eines Zauberstabes haben könnte; reduziert er mit seinem Blick, den Blick des Betrachters auf das Wesentliche.

In diesem illusionistischen Tableau einer Wirklichkeit, wie der Maler sie sah, lassen wir uns, wenn wir uns darauf einlassen, im Eigentlichen auf das Nicht-Augenscheinliche ein. Damit betreten wir ein Geschehen, dessen Faszination über die gerahmte Bildfläche weit hinausgreift.

Ein Kunstwerk kann dem Betrachter Anlass sein, dessen Aussage fortzuschreiben. Dabei sollte er jedoch in seiner Sicht seinen autonomen Intentionen folgen. Das handwerkliche Instrumentarium, wie Kontextualisierung, kunstwissenschaftliche und -historische Bezüge sind hilfreich jedoch nicht ausschlaggebend. Vielmehr ist es das Momentum einer Transformation der Ideen des Künstlers, die durch den eigenen Blick eine neue Wirklichkeit erfahren.

Vor Jahren, als mir dieses Bild in einer privaten Sammlung zum ersten Mal begegnete, stellte sich sehr bald auch eine Form von emotionaler und kognitiver Inbesitznahme bei mir ein. Ich hatte zuvor von dem Künstler Gottfried Brockmann noch nie etwas gehört, denn gesehen. Dieses Bild sprach zu mir ohne überflüssige Gebärden, eindeutig und klar, ungewohnt, doch zugleich vertraut, von dem Phantasma der Dinge, die in einem rationalen Sinne nicht zusammengehörten, jedoch in ihrer Figuration eine Welthaltigkeit definierten, die als ein bildnerisches Gleichnis Allgemeingültigkeit reklamierte. 

Die Malerei schafft immer wieder entgrenzte Räume, worin sie das Paradoxon ihres Narrativ ausbildet, insofern als ihr Erzählen ohne die Sprache auskommt. Die formen wir, die wir uns die Bilder ansehen und aus dem Konstrukt von Farbe und Form versuchen, Worte für das Wortlose zu finden. Dabei begeben wir uns auf eine Spurensuche nach dem, was nicht mit Händen zu greifen ist, jedoch in seiner komplexen Wahrnehmung, sehr viel erfassbarer wird. Wenn wir also der Bild-Sprache des Malers folgen, folgen wir einer Ikonographie seiner Vorstellungen. Was er dabei sieht, das gestaltet er! Denn es gibt auch eine andere sichtbare Welt. Das Prinzip einer solchen Welterfahrung ist für uns, die wir sein Auditorium sind, ein Gesprächsangebot, das wir zu nutzen wissen sollten.   

Als erster, flüchtiger Eindruck erscheint uns in dem Bild „Das Zauberkunststück“ ein Trugbild. Doch bereits im nächsten Augenblick setzt diese Imagination ein, die das Unwirkliche auf uns auszuüben vermag. Seine Findungen suggerieren die rätselhafte Gleichzeitigkeit eines Davor und eines Dahinter. Dabei nutzt der Künstler den Raum als Projektionsfläche für gar absonderliche Ausschnitte einer scheinbaren Realität als scheinbarer Daseinsform, die uns wie Sequenzen aus Träumen entgegentritt oder eben auch als der doppelte Boden eines gelungenen Zaubertricks, sich aber sogleich, im nächsten Moment, diesem Zugriff wieder entzieht.

Das Davor zeigt uns die Umrisse eines Tisches, das aber auch nur ein Geviert materialisierten Malstoffes darstellen könnte. Das bleibt ebenso im Ungefähren, wie und weshalb das Huhn sich ohne Kopf zeigt. Und was soll das Ei? Hält der Stab diese Bild-Erzählung, gleichsam wie sich selbst und uns verzaubernd, im Verborgenen? Oder ist gerade er es, der uns diese Wirklichkeit des Unwirklichen entschlüsselt? Jedoch – müssen wir das beantwortet bekommen? Ist es nicht hilfreicher, wenn wir auf solcherart von Gewissheiten verzichten!? 

Es ist die Infragestellung eines geläufigen Status quo, der dem Ausloten von geläufigen Bildinhalten dienen mag, die uns hier den Blickwinkel formatiert. Und – das verweist darauf, wo genauer hinzuschauen sei. Infolgedessen sehen wir in die Zwischenräume auf die, nur auf den ersten Blick irritierenden Leerstellen dieses Bildes. Und in diesem Moment wird unser Sehen zu einem dialogischen Prinzip, denn wir folgen dem Wollen des Malers insofern als wir eher dem Nicht-Sichtbaren als dem Sichtbaren nachfolgen. Wir entdecken, dass dieses Bild kein bloßes Abbild von etwas ist, sondern vielmehr ein Sinnbild universellen Charakters. Vorausgesetzt wir vermögen uns nun in dieser ungewohnten Szenerie zu orientieren, umfängt uns eine Magie, die etwas anderes meint als Zauberei, denn sie weckt in uns Wünsche und ein Begehren nach mehr , nach mehr Phantasie, nach mehr Träumen und nach mehr Transzendenz, die unsere übrigen Realitäten hinterfragen hilft.

Kandinsky hat einmal in dem Manifest „Der Blaue Reiter“ sinngemäß vermerkt: „Da kommen sie, lärmend und in Scharen in die Ausstellungen und sehen unsere Bilder. Und dann gehen sie wieder, ebenso lärmend und in Scharen. Nur, was haben gesehen?“

Exkurs:

Vergegenwärtigen Sie sich bitte folgende Situation: Sie verlassen gerade die Ausstellung eines Künstlers, dessen Werk und Vita Ihnen bisher wenig vertraut waren. Deshalb haben Sie nun allerhand Fragen in Ihrem Gepäck, die Ihre Neugier beantwortet wissen will. Was werden Sie wie tun? Naheliegend wären da wohl zwei Möglichkeiten! Die eine, Sie entscheiden sich, über die biografische Exegese zu den Einflüssen und Bezügen seiner Kunst zu kommen, um dadurch schließlich zu Ihrer Deutungshoheit zu gelangen. Das „Sprech“ der Vitalen heutiger Tage nennt so etwas: „Content“. Meines Erachtens aber, beschneidet das eher Ihre Perspektive als das es Ihnen schlüssige Antworten gibt. Ich beobachte immer wieder, dass eine Vielzahl von Ausstellungsbesuchern, bewehrt mit Kopfhörern aus denen geübte Stimmen vermitteln wollen, was Sie bitte gerade in diesem oder jenem Kunstwerk sehen sollen, Ihre souveränen Sehnerven einengen. Damit aber beschränken Sie, und das scheinbar ganz freiwillig, Ihre Entscheidungsfähigkeit und machen sich unmündig, eigenständige Meinungen zu bilden. Dadurch können Sie aber in der Konsequenz kaum den Ansatz eines Dialogs mit den Arbeiten des Künstlers eingehen. Vielmehr versichern Sie sich eines eingeübten Stereotyps von kanonisierten Interpretationen, damit der Maßgabe folgend, die Mehrheit hat schon recht. Hat sie das – oder okkupiert sie nicht vielmehr damit auch Ihre Anschauungen!? Eine Alternative dazu wäre jedoch, die Autonomie Ihrer Sinne und Ihres Denkens zuzulassen, um dadurch das Kunstwerk unmittelbarer zu erfahren. Ein probates Mittel – immer wieder der Selbstversuch! Wechseln Sie die Perspektive und stehen Sie vor der Leinwand als der Künstler, der das Werk geschaffen hat. Adaptieren Sie auf dieser Basis das, was Sie sehen und transferieren Sie das als einen Baustein in Ihr Portfolie des eigenen Sehens. Subsummieren Sie dies nun unter dem Aspekt von Ursache und Wirkung und Sie haben ein Substrat an der Hand, dass Sie ein adäquates Narrativ entwickeln lässt für das Verständnis von Kunst, denn was wir benennen können, das haben wir verstanden! Und im Grunde folgt das der Analogie, die in das Vertrauen Ihrer- und in die Potentiale des Künstlers setzt. 

Mit diesem Modus Operandi wende ich mich nun wieder dem „Zauberkunststück“ zu.

Das Dahinter des Bildes artikuliert in seiner Wirkkraft schließlich die Sinnsuche des Künstlers. Einzig aus einem flächigen Malgrund von sensitiver, monochromer Farbigkeit geschaffen, fordert es uns dabei zur Teilhabe auf. Dieses Dahinter hat nichts Haptisches an dem das Auge festhalten könnte. Vielmehr, so scheint es, folgte der Maler den Intentionen eines lautlosen Nichts, initiiert von einer kosmischen Stille des Unendlichen, die den geschaffenen Raum in einer außerweltlich anmutenden Gestaltung auszufüllen vermag. Das Inventar des Davor wird dadurch wiederum bühnenhaft betont. Und der Korpus des kopflosen Huhns verharrt in seinem malerisch kreatürlichen Duktus in einem In-Der-Schwebe-Sein. Menschliche Wesen finden nicht statt! Überhaupt bevölkert diesen Mikrokosmos eine Einsamkeit von universeller Konsistenz. Und doch oder gerade deshalb ist es, als ob die Abwesenheit des Menschen hier, dem Zampano des Universums, eifrig sein Handwerk verrichten lässt. Ist es nicht ohnedies die Sehnsucht des Künstlers, sich durch sein Werk in die Einsamkeit einer unbewohnten Tiefe zu bewegen? 

Gottfried Brockmann hat sich zeitlebens mit der Existenzphilosophie von Sören Kierkegaard (1813-1855) auseinandergesetzt. Dessen Weltbild beanspruchte, die Idee des Christentums, die sehr verkürzt formuliert, darauf hinausläuft, dass das Menschsein sich in der Person Christi wiederfindet und damit den Salvator Mundi in dieser Annahme definiert, um sich gegen das De facto der Christenheit mithin der Hybris eines dekadenten Klerus zu behaupten, was im Prinzip nichts anderes bedeutet, als dass es etwas geben musste, das höher war als jede menschliche Vernunft.

Die Transkription des Göttlichen findet sich als Fingerabdruck in vielen Werken der Kunst, die um Erkenntnis ringen. Und wenn wir diese Sicht als Möglichkeit der Rezeption in unsere Betrachtungen mit einbeziehen, dann finden wir vermutlich noch diesen und jenen Schlüssel, der uns Zutritt verschafft zu den Entdeckungen nicht nur in den Wunderkammern eines Gottfried Brockmann – ars mundi – lingua universale.     

 

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