Die Sprache der Bilder in „Barbara“ von Christian Petzold

Michael Althen, der viel zu früh verstorbene Filmkritiker hat einmal über den Regisseur Christian Petzold geschrieben: „Wahrscheinlich ist es so, möchte man über Deutschland zum Beginn des neuen Jahrtausends nach hundert Jahren Genaueres erfahren, dann sollte man sich seine Filme ansehen…“ In diesem Zusammenhang schrieb er auch sehr zutreffend von einem „Zwischendeutschland“, 

Vielleicht ist es so, dass es einen Filmemacher aus der rheinischen Provinz, dessen Eltern ursprünglich in der DDR lebten und weit vor dem Mauerfall in den Westen gingen, folglich seine Entwicklung durch eine bundesrepublikanische Sozialisation geprägt wurde, brauchte, sich dieses Stoffes authentisch anzunehmen. Und vielleicht wird die Film-Sprache in „Barbara“ auch erfahrbarer, sieht man sie als die Poesie des Erinnern‘s an seine Kindheit, denn viele Sommer verbrachte Petzold seine Ferien immer wieder in diesem Landstrich zwischen dem Meer und einem endlos scheinenden Himmel, wo die wortlose Sprache des Windes ein immer wiederkehrender Begleiter ist. In „Barbara“ nimmt er das als ein Stilmittel, eine Allegorie der Zeit, der gewesenen, gegenwärtigen als auch der kommenden.

„Barbara“ ist ein Film, dessen Botschaft die Zuschauer emotional berührt, ohne sich in Klischees zu verirren. Wir kennen die kühl bewertende Kamera in seinen Filmen aus „Jerichow“, „Yella“, „Die innere Sicherheit“ etc.., hier aber trifft den Zuschauer die Erzählung mit einer elementaren Wucht, die sich durch die suggestive Kraft ihrer Bilder nährt. Die ersten ca. dreißig Minuten wird kaum gesprochen und wenn, sind es ein paar wenige Worte, die fallen. Das Narrativ ist vielmehr die ineinandergreifende Montage der Bilder, die gewissermaßen Satz an Satz fügt und ohne die so häufige, oft hilflose Filmmusik dabei auskommt. Das versetzt den Zuschauer zugleich in eine wissende Teilhabe, denn der Fokus liegt auf der Empathie allein dem Geschehen gegenüber. Die Ärztin Barbara, großartig gespielt von Nina Hoss, deren Ausreiseantrag abgelehnt wurde, ist Anfang der achtziger Jahre strafversetzt in ein kleines Krankenhaus irgendwo im mecklenburgischen Hinterland. Andre, Roland Zehrfeld, der ärztliche Direktor des Klinikums, auch er in seinem Spiel absolut überzeugend, weiß weshalb Barbara bei ihm die Stelle antreten wird. In diesem Spannungsfeld entwickelt sich eine scheue Annäherung der Beiden, die ihr Leben aus den bisherigen Bahnen geraten lässt. Und schließlich mündet der Film in ein Finale, mit dem nicht zu rechnen ist. 

Es gibt in diesem Film, den ich neben den vielen guten Filmen von Petzold für seinen besten halte, eine Metapher, die mir im Gedächtnis geblieben ist. In dem Haus des Stasi-Offiziers, der  Barbara überwacht, behandelt Andre dessen krebskranke Frau, dabei kommt es zu einer überraschenden Begegnung der drei. Beklemmend, wie der Büttel die Hoss fragt: „Kann ich helfen?“ Er, den alles andere treibt, als Barbara zu helfen, fragt sie das!? Allein dieser Satz markiert beklemmend und unheimlich eine Wirklichkeit, die sich selbst infrage stellt. Exakt an dieser Schnittstelle zwischen Realität und Widersinn schwenkt die Kamera ganz behutsam den langen Flur des Hauses entlang und schaut auf eine Schüssel mit Gemüse, die Barbara linkisch in den Händen hält. Das ist eindringlich und kontemplativ gedacht, eine aus der Zeit gefallene Wirklichkeit, die an das Gleichnishafte eines Stillebens aus dem siebzehnten Jahrhundert der niederländischen Genremalerei erinnert. Grandios! 

Bei Filmen bleibt mir oft dieser eine Augenblick in dem die ganze Erzählung in einem Bild aufgehoben ist. In Michael Haneke‘s „Das Weiße Band“ ist es diese Minuten dauernde, ungeschnittene, lautlose Einstellung des abfahrbereiten Fuhrwerkes vor dem backsteinernen Bauernhaus. Das hält die Jetztzeit des Films an, wohl um den Zuschauer zu verstehen zu geben, schau‘, das da, das ist immer, ob vor einhundert Jahren oder nach einhundert Jahren und damit meine ich diese Zeitlosigkeit der Zeit als innere Substanz des Bildes. Oder die Szene in „Das Leben der Anderen“, wie sich Ulrich Mühe in dieser seelenlosen Wohnung, in diesem sterilen Plattenbau eine Prostituierte kommen lässt, das wird grell und kalt ausgeleuchtet durch das Neonlicht, dazu läuft der Fernseher, der diese soziale Kälte nur noch potenziert. Gerade diese Sequenz ist es, die eine thematische Klammer zu „Barbara“ herstellt. Diese innere Verwahrlosung der Vielen, die dieses System der DDR erst so lange ermöglicht hatten, denn wo die Achtung denjenigen vorenthalten wurde, die anders waren als die totalitäre Staatsmacht es als Doktrin vorgab, gerade dort geriet die Maske der Mächtigen zur entlarvenden Fratze  und das fegten, die in das Visier der Überwacher Geratenen schließlich mit der Widerständigkeit ihres freien Willens wie ein Spuk aus der Geschichte. Leander Haußmann zeigte diesen Aberwitz so schlicht und so ergreifend am Ende seines Films „Sonnenallee“, die  Grenze, dieser unüberwindbare „antiimperialistische Schutzwall“, nun war er offen - warum auch nicht! Und der Wind fauchte zwischen den Grenz-Barrieren aus Stahl und Beton hindurch als wären sie nie da gewesen. Erinnert sich noch dieser oder jener an das Schlussbild von "Einer flog über das Kuckucksnest"? Chief Bromden, phänomenal gespielt von Will Sampson, dieser kraftstrotzende, hünenhafte, permanent schweigende "Native American", wie er in diesem Akt von Selbstermächtigung  diesen Therapietisch aus dem Boden reißt und durch eines der vergitterten  Fenster wirft, um im nächsten Moment raus in die Nacht und in die Freiheit zu verschwinden. 

Schließlich ist die Grundvoraussetzung von Freiheit, diese auch zu wollen.

Filme sprechen in Bildern zu uns und heute, da der Schoß, der Unheil gebiert, längst schon wieder fruchtbar ist, sollten uns diese Bilder daran gemahnen, dass es unsere Verantwortung ist, sich gegen das heraufziehende Unheil aufzustellen. „Barbara“ gehört in diesem Kontext zur "Pflichtlektüre" einer Gesellschaft, deren Selbstverständnis  eine demokratischen Grundordnung sein muß.