Neulich war ich ein mikroskopischer Bestandteil der Megapolis London. Annähernd fünfzehn Millionen Menschen finden und fanden hier aus den unterschiedlichsten Gründen zusammen, die zerfaserten, weitflächigen Peripherien um die eigentlichen Stadtgrenzen herum dazu gedacht. Wobei das Zusammenfinden, das ich an dieser Stelle meine, dem allgemeinen Verständnis in seiner Entsprechung diametral begegnet. Denn welche Form des Zusammenfindens ist es, wenn nicht das Ankommen das eigentliche Ziel ist, sondern das Sich-Entfernen sich fortdauernd dagegen behauptet? Jede dieser großen Städte unserer Gegenwart formuliert sich in ihren Befunden durch eine sublime Konturlosigkeit, denn alles ist überall gleich anders! Daher ist es immer wieder verblüffend, eine Antwort auf die sich stellende Frage zu finden: Warum bin ich hier?
Diesem Paradigma folgt dann der Blick auf ganz konkrete Dingen. Zum Beispiel den U-Bahnen der Stadt, die diese Kakophonie aus Stein, Glas und Beton, mit diesem babylonischen Stimmengewirr in ihren Zwischenräumen, diesem stets kurz vor dem Kollaps stehenden Puls einer viralen Geschäftigkeit, erst eine Daseinsform verschaffen.
Das tief unter dem Straßenlärm verlaufende, die unterschiedlichen Wahrnehmungen und reflexhaften Momentaufnahmen der Ströme von Passanten inventarisierende, wundersame Kapillarsystem der Schienenstränge verbindet zugleich in mehrfacher Hinsicht. Es bringt die, die es wollen, dorthin, wo sie sein müssen. Es führt jedoch auch die zusammen, die sich gewissermaßen am Schnittpunkt divergierender Notwendigkeiten orientieren: ich will von da nach dort, weil…, oder, ich habe es eilig und suche deshalb die kürzeste Verbindung, um von A nach B zu gelangen usw., usf… Es formatiert sich in diesen Katakomben eine nicht greifbare Ausweglosigkeit, die den Takt für einen nicht fixierbaren Fahrplan vorgibt. Und Zeit scheint hier keiner zu haben und so geschieht es, dass eine permanente Zufälligkeit soziale Kontakte schafft. Die einzelnen Stationen sind dabei die Verschiebebahnhöfe sich überlagernder Entwürfe und Verwerfungen, Hoffnungen, Ängste und Wünsche… Für einen hastigen Moment gibt es diese Gleichzeitigkeit des Verschiedenen, dieses Stigma unserer Moderne, die es immer wieder vermag, aus Unsinn, Sinn zu fertigen. So gesehen ist die Tube in London und sind die Metros der Metropolen, Konferenzräume eines Zwischendurchs und wenn wir sie verlassen, begeben wir uns, mit etwas Glück, dann doch an die Orte des Noch-Nicht-Gewesenen. Das schließlich wäre dann ein Ziel auf das man sich verständigen könnte.